„Woyzeck“– eine Interpretation, die nachwirkt

11. Okt 2024

Theater im Klassenzimmer – Angebot für die Jahrgangsstufe 2 des HG am 01.10.24

Graue Atmosphäre, ein Meer aus verschmutzten Kleiderbergen, Soldatenhelme, darin ein Mensch, eingesperrt hinter einem Zaun. Ein Bild, das an die Schrecken der Geschichte erinnert. An die Überreste in Auschwitz, an die Stofffetzen in den Straßen der Ukraine. Die Requisiten zeugen von der Gewalt, die der Mensch dem Menschen antut. In der Inszenierung von „THEATERmobileSPIELE“ aus Karlsruhe wird Georg Büchners „Woyzeck“ zu einem eindringlichen Spiegel auch unserer Gesellschaft, der uns zwingt, uns mit den Abgründen des menschlichen Daseins auseinanderzusetzen.

Das ganze Stück wird verkörpert von einem einzigen Schauspieler, Rouven Honnef, und dies mit einer Intensität, die das Publikum mitzieht in den Albtraum von menschlichem Leben. Jede Sekunde ist die Hauptfigur Woyzeck gefordert auf die Zwänge des Lebens von außen zu reagieren. Schonungslos frisst er wie ein Tier aus dem Soldatenhelm, erfüllt seine beruflichen und familiären Pflichten, wird von seinem Umfeld bewertet und genügt doch nie. Figuren bestehend aus Metallständern mit Gesicht, die aus den Kleiderbergen auftauchen, erscheinen wie Untote auf der Bühne, die mit starrem Gesicht an der Person des Protagonisten zerren. Sie verkörpern Macht, Unterdrückung, Untreue, Ausbeutung, entziehen dem Protagonisten jede Hoffnung. Er vegetiert wie ein Tier, sinnbildlich eingesperrt in einem doppelten Zaun, dem der eigenen Gedanken und dem der Gesellschaft.

Die Inszenierung des Regisseurs Thorsten Kreilos ist nicht nur eine Hommage an Georg Büchners Werk, sondern auch eine scharfe politische Kritik, die uns auf die Missstände unserer eigenen Zeit aufmerksam macht und wie bereits zur Zeit Büchners die Frage aufwirft, wie wir mit den Geringsten in unserer Mitte umgehen und welche Verantwortung wir tragen.

Diese Darstellung dringt sehr nah zum Zuschauer vor, denn man sitzt in dem zur Bühne umgestalteten Klassenzimmer dem Schauspieler auf Augenhöhe und auf engstem Raum gegenüber. Die Nöte Woyzecks übertragen sich unmittelbar auf den Zuschauer. Zudem erlebt man in dieser Inszenierung die enorme Leistung eines einzelnen Schauspielers wie in keiner anderen Produktion: in einer zeitlich gedrängten Dichte von 90 Minuten bespielt er alle Figuren des Stücks und erweckt allein alle Charaktere zum Leben. Sehenswert!

O. Rathgeb

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